Städtische Galerie Fruchthalle Rastatt
Vernissage der Ausstellung „AMEI – Glanz und Gloria“ am Freitag, 11.12.2009
Einführung Peter Hank
Seit die „Neue Sachlichkeit“ ihren Namen im Zusammenhang mit einer Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle 1925 erhielt, wurde der deutsche Südwesten eine Heimstatt dieser Kunstrichtung, die unter anderem das Stillleben zu neuer Blüte brachte. Die ihr zugetanen Künstler praktizierten damals eine nüchtern beobachtende Distanz zur Dingwelt, nahmen sich ganz aus dem Bild zurück und wurden quasi zu malerischen Übersetzern dinglicher Oberflächen in bestechender Detailtreue. In der Kunstakademie Karlsruhe blieb die Richtung das 20. Jahrhundert über virulent und erlebte dort Anfang der 1970er Jahre eine latente Renaissance, als Rudolf Dischinger, Freiburger Protagonist der Neuen Sachlichkeit vom Ende der 1920er Jahre, nach einer zwanzigjährigen Abstraktionsphase das Zeichnen und Malen von Stillleben wieder aufnahm und Peter Dreher 1974 seine Glas-Serie „Tag um Tag guter Tag“ begann, die er bis heute fortsetzt. Im Anschluss daran waren es in Karlsruhe außerdem Klaus Langkafel und Vera Issleiber, die die Magie der „kleinen Dinge“ mit malerischer Virtuosität einfingen und gegen alle andersgerichteten Kunsttrends am Leben erhielten.
In diesen nachhaltig wirkenden Kontext neusachlicher Malerei sind die Arbeiten der aus dem badischen Bühl stammenden und in Karlsruhe lebenden Malerin AMEI einzuordnen. Allerdings ist bei aller Ideenverwandtschaft zur „Neuen Sachlichkeit“ auch unverkennbar, dass AMEI in der Herangehensweise an die Dinge eine andere Richtung einschlägt. Sie transformiert den traditionellen Ansatz dahingehend, dass sie ihm die kühle, fast schon teilnahmslose Distanziertheit gegenüber den Dingen nimmt. Ihr Verhältnis zu den Gegenständen, die sie bildnerisch ins Werk setzt, zielt weniger auf Distanz, als vielmehr auf Identifikation. AMEI ist den Dingen, die sie malt und die nahezu ausschließlich ihrem häuslichen Umfeld entstammen, zugetan und zugeneigt. Sie fühlt sich ihnen verbunden und verfolgt deshalb bei der praktischen Ausgestaltung ihrer Bilder das Erkenntnisinteresse, in die sichtbaren Oberflächen der Phänomene tiefer einzutauchen und ihre Erscheinung im Prozess des Malens in allen Einzelheiten kennen zu lernen und besser zu verstehen. Der wahrnehmenden Zuneigung folgt die schöpferische Zueignung.
AMEI begegnet den Dingen also nicht in analytischer Subjekt-Objekt-Beziehung und stellt ihrem Vorhandensein keine nur beschreibende Vorstellung entgegen. Sie sucht stattdessen das In-der-Welt-sein der Dinge aufzudecken, das mit AMEIs eigenem Dasein aufs engste korrespondiert und deshalb mit ihrer Wahrnehmung intuitiv verknüpft ist. Um diesen Zusammenhang schon bereits auf der bildlichen Materialebene sichtbar zu machen, ist für AMEI das Zusammenspiel von Malmittel, Pigment und Leinwand äußerst wichtig. Sie schafft keine Bilder in illusionistischer Trompe-d’oeil-Manier, sie will nicht mit der Malerei täuschen, sondern aufdecken. Die weitgehend trockene und matte Haptik der Eitempera hilft ihr dabei eine evidente Äquivalenz zu Erscheinungsbild und Oberflächenstruktur wirklicher Dinge hervorzurufen.
Das In-der-Welt-sein der Dinge in vertrauter Verflechtung mit dem Dasein des Menschen hebt AMEI in ihren Bildern nun besonders durch zwei inhaltliche Gestaltungselemente hervor, durch Singularität und Transparenz. Sie arrangiert ihre Stillleben nicht als statische und anonyme Gefäß-Ensembles, sondern gibt weitgehend vereinzelte Dinge in Übergröße und Eigenpräsenz wieder. In der fokussierten Vereinzelung erhalten die Zucker- und Butterdosen, die Trinkbecher und Tassen, die Glaskelche und –schalen, die Schöpfkellen, Mörser und Wasserkessel, die Service, Kaffeekannen und Hängeschlösser regelrecht Porträtcharakter und vergegenwärtigen für sich genommen in ihrer überdimensionierten und herausgehobenen Zeughaftigkeit einen menschlichen Daseinsbezug, ja, sie bezeugen die persönliche Nähe zur Person der Künstlerin. Die Singularität, die das jeweilige Ding in exponierte Position bringt und über seine Funktion als Gebrauchsgut hinaushebt, geht den Betrachter unmittelbar an, als würde aus der Einzigkeit eine eigene Persönlichkeit sprechen und eine persönliche Geschichte von Lust und Leid im Dienst der Nutzbarkeit erzählen. Dadurch verkehrt sich die selbstverständliche, ansonsten eher unbeachtete Alltäglichkeit, die den dargestellten Gegenständen des täglichen Gebrauchs anhaftet, ins Gegenteil: die Dinge erhalten eine geradezu feierliche Aura, die der Wahrheit ihres Gebrauchswertes Würde verleiht und beim Betrachter einen subjektiv relevanten Objektbezug auslöst. AMEI unterstreicht diese besondere Auszeichnung und Würdigung der Dinge durch besondere Farbhöfe, die sie um sie herum anlegt und die ihnen zusätzlich einen Nimbus, eine eigene Gloriole verleiht. Weltverhältnis, in das die von AMEI dargestellten Dinge einbezogen sind, spiegelt sich nun am klarsten in ihrer Transparenz wider. Nicht nur die durchscheinenden Glaskörper, sondern auch die glasierten Porzellane und Keramiken und selbst die reflektierenden Metalle zeigen neben ihrer stofflichen Qualität ein sphärisches Licht, das sie bei aller morphischen Dichte durchlässig scheinen lässt, empfänglich für die herausgehobene und ausgezeichnete Gravität, in der sie stehen. Selbst ein völlig erodiertes Fünfkilogewicht erhält auf diese Weise im Gegensatz zu seiner rostmatten und erdschweren Farbigkeit im Hintergrund eine glänzende, komplementäre Aufhellung. Die Dinge stehen daher nicht nur für sich selbst, sondern reflektieren und beschreiben zugleich ihr Umfeld, weshalb sie in ihren Oberflächen die Welt, zu der sie gehören, geradezu ablichten. Im Glanz, den so die Dinge werfen, ist die Welt mitentworfen, das Licht, das sie einfangen, fängt die Welt ein, die damit ebenso in der Glasmurmel präsent ist wie im Spiegelbild der Schöpfkelle, in der Karaffe wie in den Kristallkelchen. Durch Gegenstände wie eine Beißzange, ein Kehrbesen oder ein Leiterwagen sieht der Betrachter hindurch auf das weltliche Umfeld, das sich atmosphärisch mit der Dingwelt verwebt.
Der mit den Dingen verwobene Weltbezug findet nun aber nicht in statischer Abgeklärtheit statt. Er offenbart sich vielmehr als dynamisches Prinzip in einer energetischen Qualität, die bei AMEI um die dargestellten Dinge herumwogt in mitunter äußert farbprächtigen, gestischen und ornamentalen Texturen. Um dieses bewegte Gewoge zusätzlich mit authentischen Materialien aufzuwerten, bringt AMEI aus dem Fundus der sie umgebenden und von ihr liebgewonnenen Alltagsdinge Einzelstücke in die Bilder ein, die sie entweder als Malgründe oder als collagierte Applikationen ins Bild setzt und zur Geltung bringt. So finden sich in ihren Bildern ganze Tischdecken aus dem elterlichen Haus als ungrundierte Leinwände wieder ebenso wie die gehäkelten und gestickten Deckchen und textilen Untersetzer aus Großmutters Nähschatulle. Die applizierte Textilkunst kommt dabei in ihrer Authentizität zur Wirkung und erfährt in ihrer aussterbenden Art eine geradezu postume Würdigung als Relikte einer zwar alltäglichen, aber zugleich auch ein profundes Dingverständnis bergenden Welterfahrung. Mitunter wirken die runden Häkeldeckchen wie Kristalle einer kosmischen Mutterlauge, die in unmittelbarer Beziehung stehen zum gemalten Kristallzucker in den gläsernen Behältnissen. Dabei verstrahlen sie den Glanz einer vergangenen Tradition, ähnlich den interstellaren Galaxien, deren Licht erst auf der Erde ankommt, wenn sie schon längst erloschen sind.
So beinhalten und verkörpern die Stillleben von AMEI den „Glanz und Gloria“ – so auch der Titel der Ausstellung - einer zwar vertrauten, liebenswürdigen, zugleich aber vergangenen, untergehenden Dingwelt, die – gleichsam in den Adelsstand des Kunstwerks erhoben – noch einmal ihre Pracht entfaltet und einen melancholischen Charme versprüht. Neben dieser unverkennbar elegischen Komponente, in welcher der unabänderliche Verlust des Vertrauten deutlich wird und der eine herbstlichen Stimmung in den Bildern verbreitet, enthalten AMEIs Arbeiten zugleich einen verborgenen Widerpart, der aus der heimischen, heimatlichen Urvertrautheit, die AMEI mit den Gegenständen verbindet, heraus ins Un-heimliche und Hintergründige reicht.
Dies wird vor allem deutlich, wenn neben den herausgehobenen Einzeldingen dann doch einmal ein Arrangement von mehreren Gegenständen gezeigt wird. Diese verhalten sich nicht statuarisch ruhend zueinander, sondern stehen in der Situation wechselseitiger Bewegtheit, ja, sie scheinen einen geisterhaften Reigen zu vollziehen und regelrecht zu tanzen. Die Glasmurmeln in der Schöpfkelle und an der Tischkante, die Limette in der Schale, der Stößel im Mörser, die Spielzeugfiguren, die Zuckerstückchen auf den Kinderschaufeln, die Löffel und Gabeln eines Bestecks und die Tassen und Kannen eines Services erwecken unweigerlich ein Bewegungsgefühl und den Eindruck, sie würden schwanken taumeln. AMEI fängt dabei den Taumel zugleich aber dadurch auf, dass sie ihn, sofern der Betrachter das Bild länger in Augenschein nimmt, in eine Schwerelosigkeit überführt, in dem die Fallgesetze nicht mehr gelten. Sie setzt die Gesetze der Schwerkraft auf der Leinwand außer Kraft und bringt die Dinge in eine bewegte Schwebe. Damit hebt sie jedoch ihre Zugehörigkeit zum Weltganzen nicht auf, sondern potenziert zusätzlich ihr spezifisches In-der-Welt-sein. Es entsteht die Anmutung, als würden die Dinge und Gerätschaften in einem kosmischen Fluidum schwimmen, das sich selbst bisweilen in dynamischer Bewegtheit befindet, deutlich durch die Farbturbulenzen, Raumbrechungen und Verschachtelungen von Streifenmustern und anderen ornamentalen Elementen im Umfeld der Dinge. Analog zur Reise des Planeten Erde, der sich zu keiner Zeit am gleichen Ort im Kosmos befindet, sondern in fortlaufender Wanderschaft und stetiger Verwandlung steht, schildert AMEI den Wandelprozess der Dinge, ihren beständigen Transfer ins Unbekannte. Genau genommen sind Ihre Bilder daher keine Stillleben. Sie müssten eigentlich „Bewegt- oder Wandelleben“ heißen. Die darin zum Ausdruck kommende Vergänglichkeit der Dinge darf nun aber nicht als Vanitas-Symbol betrachtet werden, sondern erzeugt eine insgeheime, empathische Verbindung zum Betrachter. AMEIs Dingwelt steht gleichsam konträr zu jeder Form von Wegwerfmentalität.
In den jüngst entstandenen Glasvasenbildern tritt uns das Un-heimliche dann noch in ganz anderer Gestalt entgegen. Hier ist es nicht die taumelnde Schwebe in ihrer unmerklich suggestiven Bewegtheit, sondern die Gegenüberstellung von eleganten Formen und wildwüchsigen Strukturen. Dem klaren, durchscheinenden Glas in seiner künstlich reduzierten Schmelze, repräsentiert durch eine streng komponierte Versammlung unterschiedlicher Vasen, ist am Bildrand in einer Art Fassung ein floral-vegetatives, dschungelartiges und abgeschattetes Dickicht gegenübergestellt, eine geordnete, transparente, offene Struktur trifft in unerbittlicher Direktheit auf eine verschlungen-verschlossene Undurchdringlichkeit. Was hier scheinbar unvereinbar ist, gehört aber dennoch zusammen, ist in subtiler Fragilität aufeinander bezogen und in eine fein austariertes Verhältnis gebracht, so dass das eine wie der Spezialfall des anderen wirkt. Das Un-heimliche erscheint in enger Relation zum heimisch Vertrauten, am Saum des Bekannten bildet sich Unbekanntes, die Lichtung ist ins Verborgene gestellt, die geordnete Welt erdet sich am eingrenzenden Chaos. So passiert in den Bildern von AMEI, die allesamt Tafelbildcharakter haben, Merkwürdiges. Die bildimmanenten Strukturen zerren an der Fixiertheit des Tafelbildes und drängen über es hinaus ins Wandelbare. Das dies so ist – und damit komme ich am Ende meiner Ausführungen zum Anfang der Ausstellung – können Sie, liebe Gäste, oben im Foyer sehen. Dort wird in einer Vitrine eine Box aus der Sammlung Westermann gezeigt, die AMEI 1984 gefertigt hat. Die darin enthaltenen Assemblage von Gegenstände hat eindeutig die Tendenz, aus dem Rahmen zu fallen. Die rote Gabel ragt über die Box hinaus – eben ins Wandelbare.